Aus der Geschichte der Erstbegehungen


Emporturm - Alter Weg, Erste Besteigung am 23.Juli 1909


Die erste Besteigung des Emporturmes
von Otto Lugenheim, "K.V.Empor".

Wenn man das Bielatal aufwärts wandert, so überschreitet man schließlich bei Eiland die böhmische Grenze und schaut von hier aus in einen weiten Talkessel, den an seinen Abstürzen eine ganze Reihe von Felsen umsäumen. Die Dorfstraße führt an den östlichen Talwänden entlang. Von oben grüßen den Wanderer die Eiländer Spitze und der Wurzelstein. Bald zweigt nach links ein schmaler, steinplattenbedeckter Weg ab, von der Straße durch ein Wildgatter abgeschlossen. Nur wenige Schritte, und man steht inmitten von fünf mäßig hohen Felsgestalten, von denen sich zwei durch ungewöhnlich schlanke Formen auszeichnen: Emporturm und Empornadel.

Felsgruppe am Emporturm

Die Felsgruppe mit dem Emporturm (links) von SO

Den elegantesten Eindruck macht entschieden der erstere. Senkrecht ragen seine glatten Wände hinauf. Nur etwa in der Mitte der breiteren Talwand sind zwei kreisrunde Höhlungen ausgewittert, von denen die linke sogar die Wand an der Kante durchbricht. Zur rechten Höhlung führt ein Riß.

Schon manchmal hatte ich diesen Fels mit kritischem Auge gemustert, doch stets mit dem Resultat: er ist unmöglich. Freilich tröstete ich mich damit, daß der Fels immer ein anderes Gesicht macht, wenn man ihn anfaßt. Man müßte durch den Riß in die rechte Höhlung kommen, von da in die linke und nun die linke Kante bis zum Gipfel. Dieses letzte Stück jedoch war in meinen Augen ein Noli me tangere. Nun, bald genug sollte ich Gewißheit haben.

Am 23.Juli 1909 fanden sich zu dem Unternehmen noch zwei Freunde mit mir zusammen, Ernst und Kurt Rost. Nach kurzen Vorbereitungen stieg E.R. den Riß bis zum rechten Loch empor. Ich folgte. Im Innern der Höhlung ließ sich eine Seilschlinge befestigen, die eine Seilsicherung während der recht schwierigen Traverse zum linken Loch ermöglichte. Hier saßen wir nun zu zweien, auf engem Raume einträglich zusammengequetscht. Mit den schrecklichsten Gliederverrenkungen gelang es mir, durch das Loch nach der anderen Seite durchzukriechen. Von hier aus hielt ich meinen Freund, als er den Anfang des letzten Stückes rekognoszierte. Hammer, Meißel und Ring wurden heraufgezogen und über dem Loch saß nach einer Stunde ein vertrauenerweckender Sicherungsring fest.

Emporturm Talseite

Die Talseite des Emporturms von SW

Nachdem wir uns geraume Zeit verschnauft hatten, stieg Ernst, durch K.R. von unten gesichert und von mir unterstützt, über den Ring hinaus an die Kante. Nun war er meinen Blicken entschwunden. Ueber mir scharrten die Kletterschuhe. Das Seil glitt langsam nach oben, hielt still und ging schließlich wieder etwas herab. Jetzt hörte ich die Stimme meines Freundes. Er rief nach Hammer und Ring. Bald hörte ich regelmäßige Hammerschläge. Der Ring saß im Fels. Ich sollte nachkommen.

Welch ein Wonnegefühl, die gekrümmten Glieder wieder dehnen zu können! Dazu die gespannte Erwartung, in welcher Gegend mein Freund wohl hocken mag! Ueber kohlschwarzen Stein gings, der reichlich mit unangenehmen, groben Quarzkörnern gespickt war. Freund Ernst stand auf einem bescheidenen Gesimse, so schmal, daß ich zweifelte, ob wir zwei dort überhaupt Platz hätten. Der zweite Ring saß in einer Felsspalte. Das Sicherungsseil wurde durchgezogen und das Ende von K.R. in Empfang genommen. Wieder wurde unterstützt. Langsam und ruhig gings aufwärts. Die Fingerspitzen umschlossen die geringsten Höcker und senkten sich fest in die seltenen winzigen Risse. Fast waren an dieser Stelle die Füße überflüssig. Schließlich sah ich nur am Seil, daß mein Freund vorwärts kam. Da lief das Seil rascher und jetzt gellte ein: "Heil Empor !" durchs stille Tal, das ein jubelndes Echo aus zwei trockenen Kehlen auslöste. Bald ruhten wir drei vereint auf dem Gipfel des Emporturms, die Brust geschwellt von unermeßlicher Freude und Befriedigung.

(aus: Aus deutschen Bergen, 26(1911), Heft 8, 69-70)

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Dokument vom 23.7.08