Das Dittersbacher Gebiet

von Paul Hofmann

Es hat wohl jeder Bergsteiger ein Kleinod in den Bergen, das ihm besonders am Herzen liegt. – "Eine Heimat in den Bergen", nennt es Oskar Erich Meyer in "Tat und Traum", und mit gutem Recht kann man diese Worte auch auf unser heimisches Elbsandsteingebirge beziehen. – Unsere Bergheimat liegt in Dittersbach. Dort in den wildromantischen Schluchten der Kamnitz, auf der stolzen Marienhöhe oder an dem sagenumwobenen Falkenstein verlebten wir Tage und Stunden, die uns unvergessen sein werden. – Es sind ewiggrünende Blätter im Kranze der Erinnerung. – Vor reichlich acht Jahren wanderte ich mit meinen Freunden, von Herrnskretschen kommend, die Bezirksstraße entlang dem uns damals noch unbekannten Dittersbach entgegen. Unser Ziel war die zu jener Zeit noch spärlich besuchte Katzenkirche. In nachtschlafener Zeit schritten wir durch den Ort, nicht ahnend, welche Fülle von Naturschönheiten der dunkle Schleier deckte. – Am andern Morgen aber, als wir am Fuße der Katzenkirche standen, und die goldene Morgensonne die Berge umflutete, wurden wir nimmermüde am Schauen. Als wir nach harterkämpftem Siege im Kruge saßen, da gelobten wir den Bergen um Dittersbach die Treue. – Gegen fünfzig Bergfahrten führten uns seit jenem Tage in dieses Gebiet und noch immer schauen wir Neues. – Es wird uns ewig jung bleiben. –

Der Frühling naht! In der hintersten Ecke der Bodenkammer beginnen die "Brettel" ihren Sommerschlaf. Die Seile werden hervorgeholt und die "Genagelten" bergfähig gemacht. Osterpläne werden geschmiedet – bald kommt auch das Pfingstfest – und dann die Ferienzeit. Die Hauptsorge des Bergsteigers, wo werden wir unsere Ferientage verbringen? Wer eine Alpentour unternehmen kann, ist zu beneiden. Und wer’s nicht kann? Nun dem werde ich einen kleinen Teil der Schönheiten von Dittersbach anvertrauen. – Zunächst das Dorf selbst. Es hat recht bedenkliche Eigenschaften. – Der Eigenart der böhmischen Dörfer entsprechend, nennt sich auch hier jedes vierte Haus ein Gasthaus. Für durstige Kehlen, ihr wißt schon – böhmisches Bier – es kann gar oft zur Einkehr verleiten.

Als Übernachtungs und Gaststätte empfehle ich den Gasthof zum Schweizerhaus. Hier befindet sich die Unfallhilfsstelle des Sächsischen Bergsteiger-Bundes. – Die Lageskizze ist vor allem für diejenigen bestimmt, welche das Gebiet mit Seil und Kletterschuh besuchen. Die beiden lohnendsten Gipfel sind Katzenkirche und Wilhelminenwandkegel. Leider sind sie beide sehr schwer zu bezwingen und nur dem erfahrenen Kletterer ist anzuraten, dort Gipfelfreuden zu suchen. Die Zahl der Besteigungen ist bei beiden Felsen gering. Katzenkirche gegen 30 Besteigungen – Wilhelminenwandkegel etwa 17. Wo findet man wohl im sächsischen Teil des Elbsandsteingebirges zwei solch bedeutende Gipfel mit der gleichen geringen Besteigungsziffer?

Am Fuße des Pferdesteines verbargen die Einwohner im dreißigjährigen Kriege ihre Pferde vor plündernden Schweden. Der Felsen ist infolge seiner Verborgenheit ein Ideal für den Einsamkeit suchenden Klettrer, seine Besteigung ist weniger schwierig. - In einem verlassenen Herrgottswinkel stehen die Ferdinandstürme. Die Gipfelrast bietet einen prächtigen Tiefblick in die rauschende Ferdinandsklamm. – Hervorragende Wandklettereien findet man am Voranturm und an der Baldurscheibe. Auch die anderen Felsen, welche ich hier nicht näher erläutern will, bieten reizvolle Klettertouren und man wird in dieser einsamen Felsenwelt Gipfelfreuden erleben, die unvergeßlich sind. – Für den größten Teil der Wanderer ist Dittersbach bestimmt kein Neuland mehr. Als Wandergebiet ist dieser Ort wohl in allen Touristenkreisen bekannt, und es wäre vergebliches Mühen, wenn ich der Gilde vom grünen Hut oder den Kochkesseltouristen von meinen Wanderfahrten erzählen sollte. – Und dennoch, dem Schönheit suchenden Wanderer will ich einige besonders reizende Flecken preisgeben. Wer noch nie auf der stolzen Marienhöhe stand und in weiten Fernen die vielen Bergkuppendes böhmischen Mittelgebirges begrüßte, oder wer nicht auf jener hohen Warte träumend schaute, wenn des Abends im Westen der Himmel blutig rot, die Berge ringsum ein goldenes Kleid trugen. – Wer das nicht sah und mit erlebte, der kennt Dittersbach und seine Berge nur zur Hälfte. Ein besonderes Kleinod ist der sagenumwobene Falkenstein. Auf dem Gipfel desselben befindet sich eine in den Fels eingehauene Raubritterburg. Ich bin auf gar vielen Gipfeln und Bergkuppen herumgekraucht, wenn ich mich auf der Suche nach alter Romantik befand, aber nirgends fand ich ein solch natürliches und interessantes Räubernest wie hier aufdem Falkenstein. – Eine nähere Beschreibung will ich mir ersparen. – Die Überraschung wird für jeden Besucher umso größer sein. Erwähnen will ich nur den mächtigen Brunnen, welcher sich etwas abseits vom üblichen Anstiege in einer Schlucht an der westlichen Seite befindet. Ein zweites Überbleibsel unserer räuberischen Vorfahren ist das Hohenleipaer Raubschloß. Auch hier fühlt man sich in das Reich Rinaldinis versetzt, und gar mancher Bergfahrer würde wohl die Raubritter ihres romantischen Wohnsitzes wegen beneiden. – Wer an einem heißen, schwülen Sommertage durch Dittersbach wandert und als zünftiger Geselle das Badezeug im Rucksack trägt, der möge seine schlaffen Glieder aufraffen und zum Grieselteich wandern; derselbe ist von Dittersbach in 15 Minuten zu erreichen und befindet sich an der am Eingange des Paulinengrundes gelegenen Grieselmühle. Ich empfehle allerdings jedem, seine Kleidungsstücke weit ab vom Schuß im Gebüsch zu verstecken, denn je nach Laune des Besitzers ist das Baden im Teiche verboten oder nicht. – Selbst hingehen und anschauen, das sei die Losung. Und wer als Neuling in dieses Gebiet wandert, der wird oft wiederkommen und den Bergen um Dittersbach die Treue halten.

aus: Der Bergsteiger – Zeitschrift des Sächsischen Bergsteigerbundes 8(1927), 73-75


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letzte Aktualisierung am 9.4.2000